Budosport-Pädagogik: Wie alles zusammenhängt

Budosport-Pädagogik: Wie alles zusammenhängt

Selbstwertgefühl, Resilienz, exekutive Funktionen

Eine der Grundeigenschaften, die den Kampfkünsten zugesprochen werden, ist es, die Teilnehmer selbstbewusster zu machen. Oft fällt es Übungsleitern aber schwer, Fragen zu diesem Thema zu beantworten.

Das Niveau unseres Selbstbildes hat Einfluss auf unser Handeln und unser Handeln hat Einfluss auf unser Selbstwertgefühl.

Theoretisch gehen wir davon aus, dass ein Kampfkunstschüler eine neue Technik gezeigt bekommt, die für ihn eine bestimmte Herausforderung darstellt und bei der er über seinen Erfahrungen hinaus agieren muss. Obwohl er sich vielleicht selbst nicht ganz  sicher ist, was passiert, nimmt er diese Herausforderung an und bewältigt sie schließlich mit, sagen wir einmal, einer größeren Anstrengung – es entwickelt sich ein Vertrauen in das eigene Handeln. Es entsteht so Selbstwirksamkeit, die immer den Nährboden für ein gesundes Selbstwertgefühl darstellt. Durch die Beharrlichkeit beim Üben der Technik entsteht das Vertrauen, es verdient zu haben. Der Schüler beginnt auf diese Weise, seine Wertevorstellungen zu verwirklichen und die Früchte seiner Bemühungen zu genießen.

Ein ausgeprägtes Selbstwertgefühl ist ein menschliches Grundbedürfnis.

Oft zeigen die Augen und die ganze Körpersprache unserer Schüler eine besondere Form von Stolz. Und Stolz ist eine emotionale Form der Eigenbelohnung. Hier bekommt der Schüler ganz für sich selbst die Möglichkeit, sich positiv einzuschätzen –  denn kein Urteil ist so wichtig, wie das, welches wir über uns selbst fällen.

Ganz wichtig ist hier auch der Umstand, dass Loben von außen nicht die gleiche Wirkung erzielen kann. Loben von außen ist für den Schüler nur eine Form von Information, es hinterlässt nicht die Möglichkeit, sich selbst realistisch einzuschätzen. Ganz im Gegenteil: Zu viel loben macht süchtig und schafft Abhängigkeiten, was wir im Unterricht immer wieder daran erkennen können, dass bestimmte Schüler ständig den Blickkontakt zu uns suchen oder uns ständig fragen: „Hab ich das gut gemacht?“

Das richtige Loben will gelernt sein und ist pauschal nicht zielführend. In den Lehrproben der Budosport-Pädagogen Ausbildung wird deutlich, wie unerlässlich richtiges Loben zum Erwerb eines prosozialen starken Selbstwertgefühls ist. Der Unterricht kann so gestaltet werden, dass nicht nur der Lehrer lobt, sondern dass die Mitschüler loben und dabei auch achtsamer hinschauen und sich sogar selbst bewusster werden was sie machen.

Ein Unterrichtsbeispiel:

Rund 30 Grüngurtschüler im Alter von acht bis zwölf Jahren haben sich zu einer Doppelreihe aufgestellt. Wir üben die ersten 4 Ibo-Taeryon Techniken. Der Aufgabe folgend sitzen alle Schüler im Drachensitz und warten gespannt auf meine Frage: “Worauf müssen wir besonders achten?“ Ein Schüler antwortet: „Wir müssen den richtigen Abstand halten und konzentriert stillstehen.“ Ich frage einen anderen Schüler: „Kannst du das wiederholen?“ Er wiederholt die Antwort (Dies funktioniert, weil alle Schüler wissen, wie der Unterricht gestaltet ist. Sie wissen, dass jeder gefragt werden könnte. Im Idealfall möchte sogar jeder gefragt werden). Sollte die Antwort zum Beispiel zu leise oder undeutlich sein, melden sich die Schüler von selbst und bitten um eine verständlichere Antwort (Auf keinen Fall wiederhole ich als Lehrer die Antwort des Schülers. Hier gilt es, das sogenannte Lehrerecho auf jeden Fall zu vermeiden). Die Schüler lernen so, sich richtig zu artikulieren und die, die die Antwort nicht verstanden haben, lernen von sich aus nachzufragen. Die Schüler werden auf diese Weise selbstwirksam. Selbstwirksamkeit ist die Überzeugung, dass wir richtig fühlen, denken, urteilen und unsere eigenen Fehler korrigieren können, sowie die Bereitschaft, Kritik anzunehmen und sie nachhaltig zu verarbeiten. Nach einiger Übungszeit dürfen die Schüler nun ihre Techniken demonstrieren. Die anderen Schüler verfolgen dies aufmerksam, wieder im Drachensitz. Jetzt gebe ich den Schülern die Aufgabe ihren Mitschülern mitzuteilen, was sie gut gemacht haben. Und zwar immer, indem sie die beiden Schüler direkt mit Namen ansprechen. Zum Beispiel: „Sarah, du hast deine Fußstellung groß und stabil gehalten.“ So können unsere Schüler zahlreiche Wirkungsweisen und Funktionen budosport-pädagogischer Angebote erlernen, die über die reine Technikvermittlung weit hinausgeht.

Der Schatz des Budo ist es, alles in den richtigen Zusammenhang zu bringen

Die Bildung von Selbstwirksamkeit und Selbstbewusstsein hat immer kausale Auswirkungen auf die Resilienz-Faktoren und letztlich auch auf die exekutiven Fähigkeiten unserer Schüler. Mit diesem Wissen hat man als kompetenter Budo-Lehrer ein ungeahntes Portfolio zur Verfügung. Man ist in der Lage, eine Taekwondo Grundschulübung wie zum Beispiel Ibo-Taeryon so zu lenken, dass man einen größtmöglichen positiven Effekt auf das Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein unserer Schüler erzielt.

Resiliente Menschen verkraften Krisen und Schicksalsschläge unterschiedlich gut. Doch die psychische Widerstandskraft lässt sich trainieren. Als Resilienz beschreibt die Physik bestimmte Stoffe, die sich unter Druck verformen lassen – danach aber wieder in ihre Ursprungsform zurückkehren. „Wie ein Schwamm, den man zusammendrückt“ erklärt Dr. Isabella Helmreich, Psychotherapeutin am Leibniz-Institut für Resilienzforschung in Mainz. Hier gilt es zu betonen, dass das Selbstwertgefühl mehr eine Frage der Widerstandsfähigkeit als der Unempfindlichkeit gegenüber Leid ist.

Unter exekutiven Funktionen versteht man geistige Prozesse, die das Verhalten, die Aufmerksamkeit und die Gefühle gezielt steuern. Es handelt sich dabei um das Arbeitsgedächtnis, die Inhibition und die kognitive Flexibilität. Studien, unter anderen von Diamond und Lee (2011), beschrieben mehrere Ansätze, die exekutive Funktionen nachweislich fördern und eine davon ist die Förderung durch traditionellen Kampfsport und Achtsamkeit. Bei meinen Seminaren ist leider immer wieder festzustellen, dass die Essenz des Achtsamkeitstraining noch nicht bei allen Breitensportlern und Profis angekommen ist. In der Januar-Ausgabe der Taekwondo Aktuell kann man sich dieses anhand des Berichts von Herbert Schmitz noch einmal verinnerlichen.

Als Einstig in das Thema schauen wir uns zuerst die 6 Säulen des Selbstwertgefühls an: (siehe PDF als download)

In den kommenden Ausgaben werde ich versuchen, die Zusammenhänge und die Entwicklung von Selbstwertgefühl mit  den Resilienz-Faktoren zu verknüpfen  bis hin zu den exekutiven Funktionen.

Taekwondo Aktuell am Puls der Zeit

Erst stürmen Querdenker und Rechte unseren Reichstag, dann schafft es ein Präsident seine An-

hänger so weit zu bringen, dass sie das Kapitol stürmen und zeitweise besetzten. Wie wichtig politische Bildung wirklich ist zeigen uns nicht nur alleine die beiden Extrembeispiele bei

uns und in den USA. Soziale Bildung spielt überall eine zentrale Rolle. Die Rolle des Sports, und im Besonderen die der Kampfkunst Taekwondo,

kann ihren Beitrag leisten um in unserer Jugend eine freiheitliche, friedfertige, demokratische und feste Haltung zu entwickeln. Unsere Anregungen dazu finden sie in den Artikeln der Ausgabe November, Dezember und Januar.

Quelle: Uwe Mandler, Taekwondo Aktuell, Ausgabe 02 – 2021