Jugendliche müssen Konsequenzen erleben

Jugendliche müssen Konsequenzen erleben

Lernen ist Erfahrung

Ausprobieren, Erfahrungen machen, auch einmal Scheitern – Jugendliche brauchen diese Erlebnisse, um sich zu entwickeln. Durch Belohnung und Strafe ist ihr Verhalten hingegen kaum zu beeinflussen.

13-jährige müssen die Wirkungsweise von Konsequenzen erst noch lernen. Darauf deutet eine Untersuchung von Catherine Insel und Wissenschaftlern der Harvard University in Cambridge, Massachusetts hin. Die Wissenschaftler stellten den Probanden – Teenagern und jungen Erwachsenen – Aufgaben, die sie je nach Richtigkeit vergütet bekamen. Bei falschen Antworten zog man ihnen den gewonnen Betrag wieder ab. Wie erwartet richteten die Teilnehmer zwischen 19 und 20 Jahren ihr Verhalten auf die Belohnung oder den Verlust bei den ihnen gestellten Aufgaben aus. Bei den Jüngeren ab 13 Jahren war dieser Effekt nicht zu beobachten: Sie schnitten stets gleich gut ab, egal ob die Anreize hoch oder niedrig waren. Das Forscherteam glaubt, dass die Heranwachsenden auf Grund der fehlenden, wie sie es nennen „koritikostriatalen Konnektivität“ noch nicht in der Lage sind, ihre geistigen Ressourcen abzurufen. Belohnungen und Strafen zeigen deshalb wenig Wirkung.

Positive Erwartungen  fördern das Lernen

Daraus lässt sich schließen, dass Teenager möglichst vielfältige Erfahrungen machen müssen, die Konsequenzen beinhalten. Das Gehirn kann nur das miteinander verknüpfen, was als Erfahrung irgendwie gespeichert wurde. Dazu zählen nicht nur motorische, sondern auch emotionale Erfahrungen. Hierbei übernimmt das Belohnungssystem die wichtige Funktion,  bestimmte Verhaltensweisen, Wünsche oder Ziele sowie die zu ihrer Verfolgung notwendige Risikobereitschaft und Ausdauer positiv zu verstärken. Gleichermaßen werden so die Widerstandskraft und das Immunsystem günstig beeinflusst.

Positive Erwartungen wirken sich auch positiv auf das Immunsystem aus – ebenso wie sich Pessimismus negativ auswirkt. Das Belohnungssystem unseres Gehirns wird durch Erfahrungen mit Erfolgs- und Glücksgefühlen sowie durch positive Erwartungen angeregt. Die positive Erwartung eines Medikamentes und der Glaube, dass es wirkt, sind als Wirkungsweisen des Placebo-Effektes bekannt. Die Erwartung eines Erfolgs, einer Belohnung oder eines positiven Ausgangs fördert das Lernen enorm. Meiner Meinung nach kann so in der Kinder- und Jugendbildung ein großer Einfluss darauf genommen werden, wie wir Lernen vermitteln, und mit welchen Konsequenzen zu rechnen ist. Manfred Spitzer schrieb 2007: „Lernen ist Erfahrung… alles andere ist Information. Das Lernen muss interaktiv, spürbar, erlebbar, und mit Übung und Erfahrung gekoppelt werden.“

Auch Scheitern ist  eine wichtige Erfahrung

In der Budosport-Pädagogik heißt es konkret: Lernen heißt Ausprobieren. Ausprobieren heißt auch Fehler machen. Fehler machen heißt Lernen und Lernen heißt Ausprobieren. Beim Lernen spielt der Erfahrungswert Scheitern eine wesentliche Rolle. Denn was heißt Scheitern? Bei den meisten von uns ist dieser Begriff negativ belegt, wie zum Beispiel: „Ich habe versagt! Ich bin ein Loser!“ Es bedeutet den Verlust von Ansehen. Dabei kann man das Scheitern auch als Chance oder einfach  als Erfahrung werten und weitermachen. Lernen und Erfahrung müssen immer beide Seiten beinhalten. Sieg und Niederlage beschreiben dieses Konstrukt am deutlichsten. Wenn wir unsere Lernerfahrungen ganz genau betrachten, lernen wir durch beide Extreme. Wir müssen nur lernen, es auch so zu empfinden und es auch so abzuspeichern. Als positives Modell kann so ein Budosport-pädagogisch gestütztes

Bewegungsangebot eines Kickbox/Taekwondo-Kindertrainings Selbstwirksamkeit generieren, die das Fundament des selbstbewussten Handelns darstellt. Dann wird unser Belohnungssystem uns die berauschenden Botenstoffe fast unbegrenzt zur Verfügung stellen. Das ganze Leben ist Lernen, mit all seinen daraus entstehenden Konsequenzen. Alles andere ist Zeitverschwendung und treibt uns in die Minderwertigkeitsschleife unseres Denkens. Dass somit das Selbstwertgefühl entscheidend gestärkt wird ist klar und gibt uns immer weiter die Möglichkeit, Dinge auszuprobieren auf der Basis unserer positiven und negativen Erfahrungen.

Zu viel Schutz ist schädlich

Wie dieses lebensnotwendige Konstrukt von Erlebnissen und Erfahrungen ausgehebelt wird, kann man an den Kindern von Helikopter-Eltern am deutlichsten ablesen. Denn wenn ihre Kinder vor allem behütet und beschützt werden und vor allem keine Verantwortung für ihr Verhalten übernehmen müssen, dann kann keine Erfahrung gemacht werden, die im Gehirn vernetzt werden kann. Und so verkümmert ein Kind unter dem Schutzmantel seiner Eltern. Das Nicht-Lernen von Konsequenzen macht nicht nur einsam, sondern fördert das Minderwertigkeitsgefühl unentwegt. Eine kleine Rettung stellt dann die Kompensation zum egomanischen Persönlichkeitsbild dar. Solange jemand da ist, der alles so herrichtet, wie es das Kind will, ist die Welt in Ordnung und das Kind braucht keinerlei Konsequenzen zu fürchten. Das ist dann der Fall, wenn stets die Eltern bereitstehen, die Konsequenzen zu filtern oder sie abzuwehren, ganz nach dem Motto: „Alle anderen sind schuld.“ Unser Fazit: Je mehr Erfahrungen ein Kind macht und je mehr es gelernt hat, diese zu reflektieren, umso mehr entwickelt sich ein Gefühl von richtig und falsch. Einer  pro-sozialen Persönlichkeitsentwicklung steht so nichts mehr im Wege. Spezielle Bewegungsangebote in Kampfsport oder Kampfkunst sind hier als besondere Modelle zu betrachten. Der Zweikampf als solches, wie die Auseinandersetzungen  mit sich selbst, können Kinder auf dem Weg zum Erwachsenwerden maßgeblich unterstützen und begleiten.


Nachtrag zum Thema Smartphone- Nutzung im Kontext des Taekwondo

Kampfkunst als  Medien-freies Phänomen

Als Inhaber meiner 1988 gegründeten  Taekwondo Schule wurde mir früh klar, dass es viele Faktoren gibt, die uns Menschen beeinflussen. Meine besondere  Vorbildfunktion und vor allem meine Haltung als Kampfkunstlehrer sind hier entscheidend. Die erste Berührung mit der digitalen Welt war für mich nicht das Smartphone, sondern der Gameboy. Auf einer Kampfsportmeisterschaft der DAKO/IMAF im Saarland 1995 musste ich erstaunt feststellen, dass sich eine kleine Gruppe von Schülern abseits vom eigentlichen Turniergeschehen anderweitig beschäftigte. Einer von ihnen hatte einen Gameboy dabei und spielte Tetris, während ein anderer Schüler alleine seine Bewegungsform darbot, ohne die Unterstützung seiner Mitschüler – was mich persönlich sehr wunderte und ärgerte. Meine Zusammenarbeit mit Regelschulen während dieser Zeit zeigte ein ähnliches Problem. Hier bemerkte man Defizite bei Schülern, die zu viel Zeit vor dem Fernseher verbrachten. Jetzt tauchte zudem der Gameboy auf – am Anfang noch vor oder nach der Schule, dann in der Pause, bis er den Weg ins Klassenzimmer fand. Die Schule wurde daraufhin zur Bildschirmfreien Zone erklärt.

Im Jahr 2005 veröffentlichte Manfred Spitzer das Buch „Vorsicht Bildschirm“, das ich jedem empfehle zu lesen, der auch nur einmal kurz auf einen Bildschirm geschaut hat. Gerade dieses Buch hat mich im Umgang mit meiner Arbeit als Kampfkunstlehrer nachhaltig geprägt und zu vielen Elternabenden in meiner Kampfkunstschule geführt.

Bewegung braucht keinen Bildschirm

Jetzt schreiben wir das Jahr 2020 und Manfred Spitzer hat das Buch „Die Smartphone Epidemie“ auf den Markt gebracht und alle damals befürchteten Bildschirmnebenwirkungen können durch zahlreiche Studien belegt werden. Zudem zeichnet er ein noch viel schlimmeres Bild für die Zukunft unserer Schüler was den Umgang mit den sogenannten modernen Medien betrifft.  In unserem Dojo herrscht daher striktes Handyverbot. Unsere Unterrichtstunden sind öffentlich und alle Eltern können jederzeit zusehen. Für die Zuschauer herrscht aus diesem Grund Foto-, Film- und Handyverbot. In den Aufenthaltsräumen sowie  an der Theke ist es Schülern ebenso  untersagt, sich mit dem Smartphone  zu beschäftigen. Einige Eltern nutzten  die digitalen Medien während sie auf ihre Kinder warten, wie zum Beispiel ein E-Book lesen, was wir zwar nicht gerne sehen,  jedoch tolerieren.

Handyzettel

In unseren drei Dojos liegen sogenannte „Handyzettel“ (grüne DIN A5 Blätter) für unverbesserliche Zuschauer, die dann doch einmal mit dem Smartphone während der Unterrichtsstunden herumhantieren. Die Zettel werden in der Regel von den Schülern übergeben, was dann noch einmal eine besondere Wirkung erzielt. Mit diesen Handyzetteln erklären wir unsere Maßnahmen und erinnern besonders die Eltern daran, dass es bedeutender ist, ihrem Kind die nötige Aufmerksamkeit zu schenken, als dem Smartphone.

Unsere erwachsenen Schüler hingegen nutzen keine Smartphones innerhalb unserer Schule. Sie sind so aufgewachsen. Ich muss hier keinen Umgang verbieten, sie handeln aus der Erfahrung heraus und sind sich ihrer Vorbildfunktion den jüngeren Schülern gegenüber durchaus bewusst. Was sich wiederum auf neue Schüler überträgt, und diese merken sehr schnell, was wir von ihnen erwarten. Auch ohne Smartphone ist es viel schwieriger geworden, Mitschüler dazu zu bringen, sich die Kämpfe oder Bewegungs- beziehungsweise Waffenformen der  anderen Schüler anzuschauen, um zum Beispiel daraus zu lernen oder sie anzufeuern oder einfach durch ihre Anwesenheit Wertschätzung oder Zusammengehörigkeit zu vermitteln. Warum ist das so und wie kann man hier die nötigen  Stellschrauben verändern? Hierzu alles weitere im nächsten Artikel.

Quelle: Uwe Mandler, Taekwondo Aktuell, Ausgabe 5 – 2020

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