Kampfsport/-kunst als demokratisches Phänomen
Budo als Wertevermittlung
In meinen Erwachsenen-Budo-Taekwondo Gruppen, wie auch bei den Eltern aus den Kindergruppen, waren die Ausschreitungen in Frankfurt und zuletzt in Leipzig immer wieder Thema. Was sich in einem Gespräch mit der Mutter eines „meiner“ Kinder wie folgt spiegelte: „Uwe, kannst du machen, dass meine Kinder nie einen Stein gegen einen Polizisten werfen?“ In meinem jugendlichen Leichtsinn antwortete ich: „Ja, mache ich.“
Ich war den ganzen Tag in diesem Moment gefangen und bin mit diesem Satz schlafen gegangen und auch damit aufgewacht. Mich hat die Frage nicht mehr in Frieden gelassen: „Wer macht so was? Was sind das für Jugendliche, die ganz bewusst ihren Frust, ihre Aggressionen an Polizisten auslassen?“ Diese Norm-Verletzer müssen doch ebenso wie ich eine Form von Erziehung durchlaufen haben im Elternhaus, in der Schule, Freizeit, im Verein. Was ist da passiert? Was ist da aus dem Ruder gelaufen? Ich suche nach Antworten. Gibt es die eine globale Erklärung? NICHT WIRKLICH. Und trotzdem muss ich für mich eine Erklärung finden, mit der ich arbeiten kann, sonst kann ich ja nicht mehr schlafen. Kann es sein, dass ich selbst Schüler auf der Matte stehen habe oder hatte, die sich jetzt an solchen Ausschreitungen beteiligen oder kann ich davon ausgehen, dass meine Arbeit dazu beigetragen hat, dass ich das ausschließen kann? Man kommt unweigerlich zu der Frage: Waren bei den „Körperverletzern“ überhaupt Kampfsportler oder Kampfkünstler dabei? Wenn nicht, wo waren diese? ZU HANDELN HAT EINE KONSEQUENZ, NICHT ZU HANDELN ABER AUCH! Weiter gefragt, was denken Sie über diese Vorfälle? Wie trägt mein Unterricht dazu bei, mündige demokratische Bürger/innen zu erziehen/ zu formen? Was kann meine eigene Vorbildfunktion dazu beitragen, dass neben dem ganzen „Verteidigungsgedöns“, den Techniken, den Formen auch Werte vermittelt werden, die ein solches Verhalten ausschließen? Fragen über Fragen. Ich möchte Euch meine Antworten in diesem Bericht vor-enthalten. Aber ich glaube, dass wir uns alle einmal fragen sollten: Was machen wir da eigentlich mit unseren Schülern? Kampfsport oder Kampfkunst? Wettkampf oder nur Spiel und Spaß? Oder doch eine Art von Wertevermittlung? Teil 2 im nächsten Heft.
Fußball als Wertevermittlung und was es mit der Toleranz wirklich auf sich hat
Dazu passt eine Sendung vom Dienstag, 10. November 2020 auf SWR3, in der gezeigt wurde, wie der Landessportbund Rheinland-Pfalz auch theoretischen Unterricht neben dem eigentlichen Fußballkicken auf dem Rasen unterrichtet. Zu sehen waren die Schlagwörter wie Höflichkeit, Respekt und Toleranz.
Klar ist, der Fußball muss etwas machen. Denn Rassismus ist ein großes Thema im Fußball geworden und es reicht nicht aus, Respekt auf das Trikot zu schreiben oder in unseren Dojos Höflichkeit, Integrität, Durchhaltevermögen, Selbstdisziplin oder Unbezwingbarkeit an die Wand zu pinseln und es damit abzuhaken.
Das eigentliche Alleinstellungsmerkmal des Budo ist aber nun einmal die Wertevermittlung. Und genau das müssen wir wieder in den Vordergrund rücken und zwar medienwirksam, so wie das andere Sportarten ebenfalls versuchen. Vielleicht sollten wir bestimmte Werte neu über-denken und diese an unsere Lebenswelt anpassen, die nicht als antiquiert und als „Budo-Romantik“ abgespeist werden können. Einer davon sollte die freiheitliche, demokratische Grundidee sein.
Denn auch wenn ich nicht Deiner Meinung bin und dagegen kämpfe, so kämpfe ich auch mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln dafür, dass du alles und zu jeder Zeit sagen kannst, was du willst. Das nennt man Redefreiheit in einer Demokratie.
Ein ganz bekannter Kampfkünstler hat vor vielen Jahren einmal folgendes über Toleranz gesagt:
„Toleranz sollte nur einen vorrübergehende Gesinnung sein. Toleranz sollte zur Anerkennung führen. Denn dulden heißt beleidigen.“
Die Erkenntnis kommt von Johann Wolfgang von Goethe und zeigt, dass die ganze Welt voll ist von großartigen Philosophen, die uns die Welt erklären, wir müssen nur hinsehen. Unser Budo kann die Lupe sein.